Wahl-O-Mat-Auswertung Bundestagswahl 2025, Teil 2: Thesen- und Parteienverwandtschaften

Nach der Parteienlandkarte gibt es auch dieses Jahr einen zweiten Teil der Wahl-O-Mat-Auswertung mit der ebenfalls schon aus 2017 und 2021 bekannten Cluster Heatmap, die sowohl eine Analyse von Parteinachbarschaften, als auch von verwandten Thesen (=ähnliches Parteizustimmungsmuster) zulässt. Diese Art der Grafik ist sehr Informationstragend. Ich präsentiere sie wieder zuerst, und danach führe ich euch schrittweise heran.

Rot ist Zustimmung, Blau ist Ablehnung, Grau ist Neutralität. – Das ist ein Hot-Cold-Farbschema, wegen der Farbenblinden. (Als anderen vermuteten Grund für dieses Farbschema habe ich aus meinem Umfeld folgendes gehört: „Wenn blau positiv zugeordnet gewesen wäre und rot negativ, hätte es sofort als politisches Statement gegolten, das sollte vermutlich vermieden werden.“ Das war zwar nicht der Grund, aber in einer Zeit, in der Diskussionen out sind und nur noch Bezeichnungen aufeinander geschleudert werden und jede abweichende Meinung schlicht „falsch“ ist, mache ich mir diese Begründung trotzdem zueigen. Der Zwang, einmal über die Farben nachzudenken, hilft. :-))

Was also sehen wir hier? Der Kern der Grafik, das große rotblaue Rechteck, ist eine sogenannte Heatmap. Das ist nichts weiter, als die farbliche Darstellung einer Tabelle.

Zeilen, Spalten, Heatmap

Die Zeilen der Tabelle sind die Thesen des Wahl-O-Mats. Die Spalten sind die Parteien. Thesen sind rechts beschriftet, Parteien unten. Über dem großen Rechteck findet ihr bei den bekannteren Parteien noch deren Farbe.

Das große blaurotgraue Rechteck in der Mitte sind nun die Antworten der jeweiligen Parteien zu den jeweiligen Thesen. Man kann sehr schön sehen, dass die Partei Verjüngungsforschung (in der Bildmitte) überall neutral abgestimmt hat. (Ich habe in der Zwischenzeit das 40. Lebensjahr vollendet und finde den neuen Namen der Partei nun außerordnetlich interessant. 8-)) Das war auch schon die Heatmap, die könnt ihr jetzt lesen.

Gruppierung der Parteien

Jetzt ist euch bestimmt schon aufgefallen, dass sowohl die Thesen, als auch die Parteien keine Ordnung haben, die man auf Anhieb versteht. Auf den ersten Blick scheinen die „irgendwie“ durcheinandergewürfelt zu sein.

Des Rätsels Lösung ist: Sowohl Thesen als auch Parteien sind – grob! – nach Ähnlichkeit geordnet! Zwei Parteien sind ähnlich, wenn ihre Antworten auf die Thesen sich gleichen (in der Heatmap sind das ähnliche Spalten). Und das geht auch andersrum: Zwei Thesen sind einander ähnlich, wenn sie von den gleichen Parteien gemocht bzw. nicht gemocht werden (das sind dann ähnliche Zeilen, und dazu kommen wir gleich).

Wir schauen uns erstmal die Reihenfolge der Parteien an. Die haben sich anscheinend automatisch nach ihrer politischen Richtung angeordnet (ja, automatisch, das ist nicht mein Werk, und das ist das interessante daran!).

Gut sichtbar ist auch die Verjüngungspartei, die alle Thesen neutral angekreuzt hat, und darum ziemlich genau in der Mitte einsortiert ist. Böse Zungen würden meinen, sie perfektioniert den Trend, im Wahlkampf bloß keine Akzente zu setzen. 8-)

Insgesamt sieht man einen größeren, anscheinend links ausgerichteten Parteiblock, auch hier in der Grafik links. Diese Gruppe Parteien ist in sich sehr, sehr homogen mit nur sehr wenigen Unterschieden. Im Wesentlichen mögen sie alle die oberen Thesen, darum ist da alles rot. Und sie lehnen – wenn auch verrauscht – die unteren Thesen ab, darum ist da viel blau. Nach rechts im linken Block gibt es aber eine kleine Gruppe, die unteren Thesen zugeneigter ist.

Rechts von der Verjüngungspartei kommen dann alle Parteien, die dem Konservativen Spektrum zuzuordnen sind, und/oder rechter sind. Diese Parteien scheinen eher den unteren Thesenblock zu favorisieren.

Wieder bitte ich, die absolute Position mit Vorsicht zu genießen: Wenn eine Partei in der Grafik hier „die linkeste“ ist, heisst das nicht, dass sie das auch politisch ist, das ist ohnehin schwer zu quanfitizieren. Aber die groben Nachbarschaften stimmen, richtig aussagekräftig sind auch die Äste der Dendogramme, dazu unten mehr.

Gruppierung der Thesen

Zuerst zu den Thesen. Wir sehen den riesigen roten, fast massiven Block oben links in der Heatmap. Links sind die anscheinend links ausgerichteten Parteien, und rot ist Zustimmung. Ich wiederhole noch mal: Die Ausrichtungen der Parteien wurden hier nur an der Antwort auf die Wahlomatthesen vermessen, das ist alles unscharf (wenn auch interessant). Diese Thesen scheinen also alles linke Herzensangelegenheiten zu sein, wohingegen bei den linken Parteien unten fast alles blau ist, also abgelehnt wird. Wir machen mal ein paar Stichproben.

Die Linken mögen fast übergreifend Mietpreisbremsen, Mindestlohnerhöhung, Ökologische Landwirtschaft (was wäre die Welt langweilig ohne gute Klischees!), und viele Themen mehr, die man auch spontan als „eher links“ einstufen würde. Scheint echt zu passen.

Der Witz ist, dass in diesem homogenen roten Block blaue Ausnahmen sofort sichtbar sind. Das können wir jetzt nutzen, um mittels fiesesten Vorurteilen etwas Ketzerei zu betreiben. So sind zum Beispiel die Grünen gegen Volksentscheide und das BSW ist den erneuerbaren weniger zugeneigt als andere linke Parteien. (Sicher gibt es dafür Beweggründe, ihr könnt auf der Wahl-O-Mat-Seite in den Thesenbegründungen nachlesen, warum jede Partei wie abgestimmt hat, aber schon aus Gründen des Augenzwinkerns muss ich das hier aufführen.) Bestimmt findet ihr auch noch weitere lustige Einzeldatenpunkte.

Hier links verortete Parteien mögen fast übergreifend nicht: Kernenergie, Abweisung Asylsuchender, Umlegung der Grundsteuer und Bürgergeldstreichungen

Die anderen Parteien sind insgesamt untereinander deutlich weniger konform, darum können wir da weniger lustige Ausreißer finden. Schade. Ich hätte gerne auch die andere Seite etwas ketzerisch aufs Korn genommen. Müsst ihr selber machen :-) Homogen ist vor allem eine These: Die gesamten „nicht-linken“ Parteien sind gegen die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Zuliefererkontrolle.

Egal, genug vorgekaut, schaut euch selber an. Was wir noch nicht besprochen haben, ist, wie das Gruppieren funktioniert (diese Section ist für die technischer interessierten unter euch).

Hierarchical Clustering

Die Gruppierungsmethode hier heißt Hierarchical clustering, und wie der Name schon sagt, erstellt sie eine Hierarchie von Gruppen. Ineinandergeschachtelte Gruppen, sozusagen. Beispiel Parteien: Die Menge aller Parteien wird erstmal in zwei geteilt, und zwar mathematisch so, dass die beiden neu entstandenen Teilgruppen in sich möglichst homogen, also einander ähnlich sind (im Abstimmungsverhalten bezüglich der Thesen). Mit den Teilgruppen wird das dann wieder gemacht, und so weiter und so fort, bis jede Gruppe nur noch eine Partei stark ist.

Die entstandene hierarchische Gruppenstruktur wird durch die Bäume im Bild angezeigt. Oben ist der Baum für die Parteien, und links der für die Thesen.

Wir sehen, dass die alleroberste Verästelung (nennen wir mal Split 1) zwei Untergruppen produziert. In einer Gruppe sind alle eher linken Parteien, und in der anderen Gruppe der ganze Rest: Mitte, konservativ, wirtschaftsliberal, rechts. Bis 2021 war der linke cluster ist also der größte aus Sicht der politischen Ausrichtung, grob so groß wie alle andern zusammen. Das war interessant. (Warum mache ich eine Partei dort auf, wo sich bereits ewig viel Konkurrenz tummelt? Ich mache doch auch keinen McDonalds in einer Kleinstadt auf, wo es schon fünf McDonalds und drei andere Burgerläden gibt.) Heute sind rechte und linke Teiläste grob gleich groß, es gibt aber innerhalb des rechten einen „linken Teilast“, in dem sich ironischerweise die AfD befindet (analysiert mal selbst!).

Generell gilt: Je tiefer Parteien voneinander getrennt werden, desto ähnlicher sind die sich. Parteien, die früh getrennt werden, sind nur in sehr weitgefassten Gruppen zusammen, also insgesamt voneinander eher entfernt (z.B. Union/FDP von Grünen/SPD).

Der Baum, der die Thesen splittet, funktioniert genauso. Die verschiedenen Ober- und Untergruppen werden zueinander layoutet, und so ergibt sich eine einigermaßen schlüssige Ordnung der Thesen, wobei es hier genau andersrum ist: Thesen sind ähnlich, wenn die gleichen Parteien für oder gegen sie stimmen.