Kölner Mathefiasko: Studenten kannten Aufgabentypen der Klausur vorher. Neu: Jetzt mit Nachklausur!

Vor ein paar Tagen habe ich von einer Mathematik-Einführungsklausur im Grundschullehramts-Studiengang in Köln berichtet, bei der im ersten Durchgang satte 94% durchgefallen sind. Zunächst war ich eher auf Studi-Seite. Nach weiteren Infos über Klausur und Service musste ich von dieser Betrachtung Abstand nehmen. Ich habe daher im letzten Artikel anhand der Klausur, des Stoffes und der Stellungnahme der Universität begründet, warum bei dem gegeben Stoffumfang und Service gar nicht mit der „Stimmung in der Vorlesung“ argumentiert werden konnte.

Für diese These gibt es neue, starke Argumente. Der Jahrgang bekam eine Probeklausur (veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Dozentin, danke!). Bei einer Probeklausur kann der Student nur gewinnen. Sie enthält realistische Klausuraufgaben – es macht aber nichts, wenn man sie nicht kann. Man kann sich als Student die Stoppuhr anstellen, sie lösen und Feedback erhalten. Dann sieht man, ob man gut im Stoff ist oder bis zur richtigen Klausur lieber noch einen Zahn zulegen sollte. So eine Probeklausur erfordert stundenlange, freiwillige Arbeit von Dozentenseite – wie auch schon ein Skript und Musterlösungen zu Übungszetteln. Darum gibt es auch nur in wenigen Vorlesungen eine. Ich werde wieder versuchen, sie fernab von Stimmungen auseinander zu nehmen und für Leser, die nicht im Uni-Alltag drin sind, nachvollziehbar zu machen.

Im vorliegenden Fall war die stoffliche Gliederung von Probeklausur und Hauptklausur exakt gleich. Einfacher geht es nicht mehr, böse Überraschungen waren so für die Studis ausgeschlossen. Das ist Luxus und selten. Ich gehe nun die Aufgaben durch, und vergleiche jede mit der entsprechenden in der richtigen Klausur. Wenn ihr wollt, macht einfach mal mit!

  1. Aufgabenthema in der Probeklausur: Mengenlehre, Summen, Binomialkoeffizienten. In der Klausur: Mengenlehre, Division mit Rest. Das Aufgabenpaar unterscheidet sich als einziges ein klein wenig im Stoff, prägend ist jeweils die Mengenlehre. Schwierigkeitsgrad unterscheidet sich nach meinem Gefühl nicht, vielleicht ist die Aufgabe in der Probeklausur etwas schwerer, weil man noch etwas über Binomialkoeffizienten wissen musste. In beiden Klausuren ist diese Aufgabe nach meinem Gefühl die anspruchsvollste. Bearbeiten musste man sie aufgrund der Punktebilanz nicht.
  2. Modulorechnung, Potenzen. Die Aufgaben bearbeiten das gleiche Gebiet. Ich halte die Aufgabe in der Hauptklausur für einfacher, weil hier der kleine Beweis fehlt (das wäre der kreative Part gewesen).
  3. Sachaufgabe, Teilbarkeit. Die Sachaufgaben folgen in Probe- und Hauptklausur exakt demselben Muster. In der Probeklausur gab es noch eine Teilaufgabe, die nicht direkt zur Sachaufgabe gehörte. Diese wurde in der Hauptklausur durch eine einfachere Teilaufgabe in der Sachaufgabe selbst ersetzt. Die Hauptklausur ist also wieder etwas leichter. Bei genauem Hinsehen findet man hier den Punkt, der den ganzen Jahrgang zerlegt hat und die 94% Durchfallquote erklärt: Während in der Probeklausur ein Computerladen Notebooks und Desktops verkauft, ist es in der Hauptklausur eine Blaskapelle, die Posaunen und Trompeten kauft. Ihr werdet mir zustimmen: Das kann schon mal verwirren. 8-)
  4. Funktionsverknüpfung zusammengesetzter Funktionen, Surjektivität, Injektivität. Beide Aufgaben folgen exakt demselben Schema. Dennoch ist die Hauptklausur etwas einfacher: Hier wurde im Vorhinein angegeben, dass die Verknüpfung nicht injektiv ist, man wusste also direkt, was man zeigen sollte. In der Probeklausur hieß es einfach, dass man die Verknüpfung auf Injektivität und Surjektivität überprüfen soll, hier war also mehr Gespür vonnöten.
  5. Definitionen, Sätze, „Ankreuzaufgaben“, ein kleiner Beweis. Definitionen und Sätze kann man in der Klausur oder eben nicht, hier gibt es keinen Unterschied im Schwierigkeitsgrad, Anzahl war auch gleich. Die Ankreuzaufgaben waren in der Probeklausur formaler und daher meiner Ansicht nach etwas schwerer als in der Hauptklausur.
  6. Rechenaufgaben. Vier Teilaufgaben, wieder nach exakt demselben Schema in beiden Klausuren. Summe ausrechnen, drei Ankreuzrechenaufgaben, Bruch vereinfachen und Faktorenzerlegung. Die Aufgaben scheinen in der Hauptklausur fast deckungsgleich, oder aber etwas einfacher zu sein.

Um es salopp auf den Punkt zu bringen: Die Hauptklausur ist nicht nur fast überall wie die Probeklausur mit anderen Zahlen – nein, es sind sogar leichtere Zahlen! Die Studierenden wussten fast exakt, was für Stoff in welcher Form drankam. Auch Schwerstbetroffene der Bereitschaftsinsuffizienz brauchten nicht mehr richtig lernen, sondern einfach die Aufgabentypen der Probeklausur wiederholen – zumal diese dem Vernehmen nach auch in den Tutorien besprochen wurde. Konsequent in der Sache, aber in freundlichem Ton die Stellungnahme der Uni:

  • Nach der Probeklausur gab es übrigens keine Beschwerden. Auch die Nachklausur war schließlich der Probeklausur und der Klausur ähnlich (und das war den Studenten im Vorfeld bekannt).
  • Dabei fiel mir gleich noch ein weiterer Satz auf: Zur Vorbereitung auf die Nachklausur hat wiederum die Dozentin selbst die Initiative zu einem weiteren Tutorium ergriffen, bei dem klausurrelevante Themen nochmal sorgfältig behandelt wurden. Dazu wurden zusätzliche Hilfskräfte eingesetzt […] – In Köln scheint man ja relativ kulant zu sein, was?

Was ist eine Nachklausur? Klausuren werden an Unis oft doppelt im Abstand von ein paar Wochen geschrieben (war bei mir auch so). Wer beim ersten mal nicht durchkommt und nur einen miesen Tag hatte, hat im zweiten Durchgang direkt noch einmal die Chance und muss nicht nochmal ein Semester ran. So war es auch in Köln. Beschwert wurde sich freilich schon nach dem ersten Durchgang m(.

Update: Sometimes, when all the facts are in, things just get worse :-|. Die Nachklausur liegt jetzt vor (veröffentlicht mit Genehmigung von Dozentin und Seminar, danke!). Sie ist die dritte Klausur, wenn man die Probeklausur mitzählt. Geht sie mal selbst durch. Die Aufgabenschemen sind wieder fast deckungsgleich, bis auf Aufgabentyp 2 aus Probe- und Erstklausur. Der wurde, wenn ich das richtig sehe, durch einen leichteren Teilbarkeits-Aufgabentyp ersetzt. Auch die Sachaufgabe wurde gravierenden Änderungen unterworfen: Erstens kauft diesmal ein Einzelhändler zwei Sorten Fischdosen, und zweitens gab es keine zweite Teilaufgabe.

In der Presse (z.B. SpOn, WDR 5, Deutschlandradio) sah alles freilich ganz anders aus: Es wurden nahezu ausschließlich Allgemeinkommentare von Studierenden wie „zu viel Stoff“ oder gar Denkwürdiges wie „Es ist nicht so, dass wir da abgeholt wurden, wo wir standen“ zitiert. Anhand der Probeklausur stelle ich fest, dass solche Kommentare von Leuten kommen, die genau wussten, was sie erwartet. Ich wundere mich vor allem, dass die direkt in der Presse zitiert werden (die wirkliche Datenlage kennen wir ja jetzt). Auf der anderen Seite wissen wir, dass so etwas durchaus auch gezielt in die Presse gebracht werden kann. Die immergleichen Aussagen derselben Personen legen für den Leser einen besonders krassen Fall von Helicopter Parents als Ausgangspunkt nahe, die sich – auf dem Rücken der Dozentin und der eigenen Tochter – in diversen Artikeln zu Wort melden.

Wir haben jetzt die Sache mit etwas Abstand und abgekoppelt von Stimmungen in der Vorlesung betrachtet. Auf diesem Weg haben wir gesehen, dass Stimmungen hier auch gar nichts zur Sache tun. Aufbauend darauf kann, wer will, einen weiteren Schritt zurück treten und sich fragen, ob die Stimmung denn tatsächlich so schlecht war, wenn sie nicht als Ausrede genutzt werden kann. In den Medien ist völlig unterrepräsentiert, was mir in den letzten Tagen vermehrt per Mail geschickt wurde: Die Meinung von Ex-Studierenden, die von Anca Popa im Laufe ihrer akademischen Laufbahn gelernt haben. Stellvertretend für alle anderen Solidaritätsbekundungen möchte ich euch eine nicht vorenthalten, die mir von sage und schreibe fünfzehn :!: Ex-Studenten von ihr geschrieben wurde. Ich selbst bleibe meiner Einstellung treu, hier fernab von Stimmungen zu argumentieren. Es kann aber sicher nicht schaden, einmal ein paar andere Meinungen zu lesen – insbesondere, weil sie von Leuten sind, die das Studium bereits erfolgreich abgeschlossen haben, und keine völlig überblickbefreiten Erstsemesterbeschwerden darstellen (ich hätte mich im ersten Semester auch nicht fundiert beschweren können). Die Stellungnahme der Exstudenten von Frau Popa.

Comments

Aufgrund von Caching kann es bis zu zwei Minuten dauern, bis ein Kommentar erscheint!

Da ich gerade ziemlich viel manuellen Spam aus Russland und Pakistan bekomme und keine Zeit habe, da wirksam gegen anzugehen, ist die Kommentarfunktion bis auf weiteres abgeschaltet. Wenn's pressiert, mailt mir!

im Film waere die ganze Geschichte unglaubwuerdig. Fehlt jetzt, dass sich einer der so geknechteten Erstlinge ins Schwert stuerzt (klappt bestimmt auch nicht) und dann die Dozentin verhaftet wird

1 |
fw
| 2012/04/20 11:47 | reply

Falls jemand mal wieder herzhaft lachen möchte, nur um dann zu erkennen, dass es die traurige Wahrheit ist, kann ich Volker Pispers' Vortrag über Lehrer empfehlen. Findet man schnell auf Youtube und ist wirklich unterhaltsam… z.B. http://www.youtube.com/watch?v=Y7ww9p2MQVg

2 |
Tillmann
| 2012/04/21 13:53 | reply

Hammer. Da kann man nur feiern. Bei uns an der Uni gibt es auch riesen Durchfallquoten, aber da beschwert sich keiner. Der Großteil merkt es, dass es einfach nicht genug gelernt hat. Vor allem im ersten Semester darf man auch mal durchfallen.

3 |
Chris
| 2012/04/24 08:45 | reply

Danke David, für die Verfolgung dieses Themas. Kein andrer in meinem Feed-Catcher hat das Thema aufgegriffen. Ich wünsch mir ernsthaft eine Gessellschaft, in der mehr Leute einen akademimischen Abschluss haben, als heute. Aber nicht auf Kosten der Qualität. Eigentlich ist das Ideal, um dieses Thema in die Medien zu tragen. Aber Leser-/Hörerbeschimpfung traut sich keiner

4 | | 2012/05/01 19:02 | reply

What about,dass Frau Popa in der öffentlich den gesamten Mailkontakt mit einer Studierenden vorgelesen, sie als dumm beschimpft und auch noch den richtigen Namen genannt hat?Ist das in Ordnung?

5 |
Margret
| 2012/05/19 14:03 | reply

„Frau Popa hat diesen E-Mail Kontakt übrigens auch in den Veranstaltungen von Herrn Kaenders und Herrn Struve verteilt, die eigentlich weniger mit der Situation vertraut sind aber Frau Popa war wohl der Meinung,dass auch diese Studierenden wissen sollten, wie dämlich wir sind. Dafür könnte ich dir auch mehrere Zeugen nennen“ zitiert. Und das?Ist sie immer noch `vorbildich`?

6 |
Margret
| 2012/05/19 14:11 | reply

Liebe Margret, danke für deinen Kommentar. Da beide von dir angegeben Mailadressen ungültig sind, bleibt mir nur, dir hier zu antworten.

ich kenne mittlerweile verschiedenste Anschuldigungen aus der Presse – in alle Richtungen. Entweder ich mache es wie Spiegel Online und übernehme ein paar der Kommentare als Hörensagen (Ich würde das dann beidseitig tun, SpOn hat es z.B. nur einseitig getan). Oder ich mache mich frei davon und beleuchte mal die reine Sachlage in Form der Klausur(en) und der Vorbereitungsmöglichkeiten, die es gab, wenn man sie denn nutzen wollte.

Wie du gelesen hast, habe ich letzteres gemacht. Frei von Stimmungen aller Parteien habe ich sozusagen gefragt: Selbst falls die Mailsache stimmen würde (und dass heißt nicht, dass ich das pauschal glauben darf, denn ich war ja nicht dabei) – was hätte sie damit zu tun, ob man eine nun zum dritten mal teilidentische Klausur besteht oder nicht? Zwei lange Artikel erklären, warum mit der Stimmung hier nicht zu argumentieren ist. Und du outest dich dazu als betroffener Student, machst einen reinen Stimmungskommentar, und das auch noch mit dieser Orthographie? Ernsthaft? LOL Grandios! Purer Zucker! Hach … *Träne wegwisch* … ich danke dir im Namen meiner Leser :-). Aus Interesse: Halt uns doch mal auf dem Laufenden, bei welcher Grundschule du anfängst. 8-)

Hätte ich als Student erlebt, was du beschreibst, hätte ich mich natürlich auch geärgert. Anders als ein paar deiner Kommilitonen wäre ich aber niemals auf die Idee gekommen, solche Angelegenheiten im Kontext dieser Prüfungsangelegenheit anzuführen. Nur das ist der Punkt. Für Klausurergebnisse ist es total egal, wer wem auf den Schlips tritt, solange die stoffliche Vorbereitung gegeben ist. Darum trägt dein Verweis auf Stimmungsangelegenheiten auch nicht konstruktiv zur Sache bei. Wie sollte er auch? „Die Sache“, um die sich meine beiden Artikel (und ganz nebenbei auch dein Studium) drehen – das sind nun mal Stoff, Klausur, und wie man das eine für das andere vorbereiten konnte. Ganz einfach.

In keinem Job der Welt darf die Arbeitsqualität beliebig leiden, weil irgendwer mal irgendwem auf den Schlips getreten ist. Mit dieser Logik hätten wir im Jahr zigtausende Tote zu beklagen, alleine durch Verkehrspiloten, die ihren Copiloten nicht mögen. Grundschulkinder treten einem übrigens vielleicht auch mal auf den Schlips. Den Nachwuchs ans Lernen heranzuführen, ist aber eine der wichtigsten Aufgaben, die unsere Gesellschaft zu vergeben hat. Jeder, der Kinder will, wird mir zustimmen, dass dort erst recht keine Stimmungsfragen als Ausrede für eigene Mißerfolge herhalten dürfen.

Gleiches gilt fürs Studium. Seit wann entpflichtet einen die Antipathie gegenüber seinem Dozenten davon, sich selbstständig Studienstoff anzueignen, was hier ohne weiteres möglich war? Jeder hat mal Dozenten, die er nicht gerade heiraten möchte. Das Studium ist keine Wissensberegnungsanlage, sondern eine akademische Hilfe zur Selbsthilfe. Es gibt keine Studienpflicht in Deutschland. Wer diese Einstellung auch nur ansatzweise vertritt, verbietet sich selbst, die eigene „Dämlichkeit“ (ich zitiere mal deinen Kommentar) zu bessern. Der darf sich bei seinen Erziehungsberechtigten bedanken, hat aber an einer Uni nichts verloren. Noch viel weniger gehört er als Vorbild in ein Klassenzimmer.

7 |
David Kriesel
| 2012/05/19 15:07 | reply

@Margret: Vielen Dank für den Kommentar, niemals wäre sonst bekannt geworden, dass es Herrn Kaenders und Herrn Struve gibt und dass diese beiden (wer immer sie auch sein mögen) und deren Studierende nun auch wissen, wie dämlich ihr seid (wie Sie sagen). Es wäre wirklich schön, jetzt noch die Zeugen zu erfahren, das würde das Bild und die gesamte Diskussion doch sehr abrunden.

8 |
fw
| 2012/05/19 17:59 | reply

@fw: Die Herren Kaenders und Struve sind Professoren am Kölner Seminar für Mathedidaktik, und als solche auch mit dieser Angelegenheit gebeutelt :-).

9 |
David Kriesel
| 2012/05/19 18:05 | reply

@Margret: Veranstaltungen anderer Professoren habe ich in Köln gar nicht betreten, geschweige denn, dass ich irgendetwas den betreffenden Studierenden verteilt hätte.

Das ist ein weiteres Beispiel für die vielen Lügen die bezüglich meiner Tätigkeit in Köln verbreitet worden sind.

Meine Stellungnahme zu diesen Vorfällen in Köln ist zu finden unter:

http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/nat_Fak_I/popa/stellungnahme_k.pdf

bzw.

http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/nat_Fak_I/popa/popa.html

10 | | 2012/05/26 18:13 | reply

Ein krasses Beispiel für unsere „Shitstorm-Gesellschaft“, David. Und wie immer schön emotionslos zusammengetragen. *thumps-up*

Ich bin selber nebenberuflich Dozent an einer Hochschule (seit 2002) und habe festgestellt, dass die Klausurergebnisse tendenziell schlechter, die Klausurfragen aber einfacher werden. Das ist natürlich nur eine subjektive Wahrnehmung von mir - eventuell habe ich mein Lehrverhalten ja so stark verändert, dass dies die Ursache dafür ist…

11 |
TOM
| 2017/01/06 05:59 | reply